Die Bahn und ich sind keine Freunde mehr.

Social Media Unternehmenskultur

Update:  Am 25.Mai 2016 hatte ich in der S-Bahn München ein Erlebnis, das mich so verärgert hatte, dass ich anschließend in einem Facebook Live Video meine Monatskarte verbrannte. Das Video erreichte in wenigen Stunden tausende von Nutzern und wurde von vielen Medienseiten und TV-Sendern aufgegriffen und millionenfach verbreitet.
 


Die Geschichte in diesem Blogpost bezieht sich auf eine Ereginis, das damals 5 Jahre zurücklag im April 2011:

Die Deutsche Bahn bzw. die S-Bahn München

Heute geht es um die Deutsche Bahn. Genauer: Es geht um die S-Bahn München, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn. Nein, ich möchte nicht über Verspätungen, unfreundliches Personal und verschmutzte Abteile schimpfen. Ich werde mich auch nicht über ausfallende Züge oder defekte Klimaanlagen beklagen. Es geht auch nicht um Bahnkunden, die in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook ihre nicht enden wollende Wut über die Bahn auslassen. 

Schwarzfahren

Heute geht es ums Schwarzfahren. Und noch vielmehr geht es um die Unfähigkeit der Deutschen Bahn, mit ihren Kunden in einen konstruktiven Dialog zu treten. Ähnliche Anekdoten wie meine haben vielleicht schon viele von euch erlebt. Ich würde mich freuen, wenn ihr eure Erlebnisse in Kommentaren unter diesem Artikel mit mir teilt. Zugegeben: Ich bin im Unrecht. Rechtlich und inhaltlich, bin ich auf ganzer Linie schuldig. Ich bin rabenschwarz gefahren. Dafür soll dieser Text aber keine Rechtfertigung sein.

Ich habe eine Monatskarte, die kostet 46,20 €. Was ich nicht wusste: Für ein Fahrrad braucht man eine extra Fahrkarte, die kostet 2,50 €. Doch Unwissenheit schützt nicht vor Strafe. Deshalb haben die freundlichen Kontrolleure in dunkelblau eigentlich recht, dass sie ein erhöhtes "Beförderungsgeld" von 40 € von mir verlangen. Ihren Hinweis, ich könne innerhalb einer Woche persönlich Einspruch am Münchner Hauptbahnhof einlegen, wollte ich trotzdem nicht unbeachtet lassen. Schließlich wussten die beiden Kontrolleure nicht, dass ich noch nie schwarzgefahren bin, ein monatlich brav zahlender Kunde bin, dass ich regelmäßig mit der deutschen Bahn reise und mich bisher am Shitstorm gegen die Bahn in sozialen Netzwerken nicht beteiligt habe. Sie konnten nicht ahnen, dass ich alles in allem ein recht unaufdringlicher Kunde bin. Kunde wohlgemerkt. Nicht Betrüger, Zechpreller oder Querulant. Aber was hilft’s? Ich hatte keinen Fahrschein für mein Fahrrad und bin somit trotz gültiger Monatskarte kein Kunde, sondern ein Betrüger.

Kulanz

Ein Auge zudrücken? Das geht systembedingt nicht. So ein mobiler Ticketdrucker der Bahn druckt Fahrscheine und Strafzettel. Die Funktion „Auge-zudrücken“ kennt das Gerät nicht. Dazu ist es auch nicht gebaut und nicht erfunden worden. Augenzwinkernde Kulanz wäre aber auch mit Zettel und Stift nicht möglich gewesen. Augen zudrücken können nämlich nur Menschen. Und sie können es nur, wenn man ihnen den Raum für freie Entscheidungen lässt. Doch Kontrolleure der Bahn müssen immer zu zweit unterwegs sein. Nur so können und müssen sie sich gegenseitig oder den Kunden als Zeugen belasten. Hinzu kommen die Videoüberwachung an Bahnhöfen und die Kameras in den S-Bahnen. Das alles kombiniert mit der Erfassung meiner privaten Personendaten in dem mobilen Strafzetteldrucker macht die Verfolgung von Schwarzfahrern systematisch effizient.

Das System der Bahn ist perfekt. Es erlaubt dem Kontrolleur keine freie Willensentscheidung, da er Gefahr läuft, selbst beim Verstoß gegen die Regeln aufzufliegen. Diese Vorgehensweise hat etwas regimehaftes, das sich in allen Hierarchien durchdeklinieren lässt. Niemand bei der Bahn muss in diesem Konstrukt jemals an irgendeiner Stelle die Verantwortung für eine Entscheidung übernehmen.

Private Daten

Nun sammelt die Bahn bei der Ticketbuchung auf bahn.de gerne viele Daten, wie meine private Adresse und Telefonnummer. Meine ÖPNV-Tickets zahle ich identitätsbildend mit EC-Karte. Eigentlich müsste es also eine volle Kundenkartei und eine leere Schwarzfahrerakte über mich geben. Umgekehrt funktioniert das ja auch: wenn ich dreimal beim schwarzfahren erwischt werde, weiß das die Bahn. Und kassiere eine Anzeige. Eigentlich sollte die Bahn also auch wissen, dass ich ihr Kunde bin und kein Betrüger. Darüber wollte ich reden. Bei der „Fahrpreisnacherhebung“, ein spezieller Schalter für Schwarzfahrer am Münchner Hauptbahnhof. Aber leider ist auch dieser Schalter Teil des Bahn-Regimes. Dort sitzt Herr Christ. Sein Vorname tue hier nichts zur Sache, sagt er. Er sieht freundlich aus. Sein Oberteil ist grau und seine Stimme klingt wohlwollend: „Sie sind sicher hier, um ihre Schuld zu begleichen?“ fragt er mich und lächelt. Ich lächle zurück. „Nein“, sage ich. Ich bin hier um mit Ihnen zu reden“.  

Das System der Bahn

Da ist es passiert. Ich trete mit der Bahn in einen Dialog. Ich bin der Kunde auf der einen Seite und wende mich an den Ansprechpartner der Bahn auf der anderen. Doch Herr Christ winkt ab. Es gäbe keine Einwochenfrist für Einsprüche, da hätte ich die Kontrolleure falsch verstanden. Es gäbe auch nichts zu diskutieren, fügt er hinzu. Nicht mehr ganz so freundlich.

Mir wird klar: Die Bahn kann gar keinen Dialog führen. Herr Christ und seine Kollegen funktionieren wie ein programmierter Apparat.

Das Absurde: Marketingmitarbeiter der Bahn überschlagen sich aktuell bei dem Versuch, mit Hilfe von Facebook in einen Dialog mit den Kunden zu treten. Doch live und am Schalter zeigt sich, dass sich die Bahn hierarchische Strukturen gebaut hat, aus denen sie nicht ausbrechen kann. Sie arbeitet mit Mechanismen, die das genaue Gegenteil der Kultur darstellen, die für einen Kundendialog auf Augenhöhe notwendig ist. Denn in einen Dialog zu treten, bedeutet auch Verantwortung zu übernehmen und dazu ist Herr Christ offenbar nicht befugt.

Teil eines Systems zu sein, vereinfacht Entscheidungsprozesse. Es verführt aber auch Menschen wie Herrn Christ am Schalter dazu, unmenschlich - gemeint maschinenhaft -  zu agieren. Imanuel Kant hat in der Zeit der Aufklärung davon geschrieben, dass man sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien soll. Kant ging es dabei um hohe Werte wie Freiheit, freie Willensentscheidung und die Wiederentdeckung der menschlichen Urteilkraft. Es ging darum, bewusst gegen Regeln zu verstoßen, wenn dies der Vernunft diene. Ich habe Herrn Christ nach Immanuel Kant gefragt, er kannte ihn nicht. Er saß unbeeindruckt und selbstsicher hinter dem Schalter seiner Fahrpreisnacherhebung.

Fahrpreisnacherhebung

Fahrpreisnacherhebung, das klingt euphemistisch. Es klingt nach der Möglichkeit, ein falsches Ticket umzubuchen oder nachzulösen – womöglich mit dem Aufpreis einer Umbuchung wie bei einer Airline. Im Falle von 2,50 Euro auf 40 Euro, wäre dies ein satter Preisaufschlag um das fast 20fache. Nach diesem Prinzip könnte man Fahrschein-Kontrolleure auch Fahrpreisberater nennen...

Reduziert man diese ganze Anekdote auf die menschliche Fähigkeit des Irrtums, die Maschinen nicht haben können, stelle ich eine Gegenfrage: Habe ich die S-Bahn München jemals für einen Irrtum oder ein menschliches Versagen bestraft? Habe ich der S-Bahn Dilettantismus vorgeworfen, als sie im tiefsten Winter Züge hat ausfallen lassen? Mit der Begründung einer „unvorhersehbaren Witterungsänderung“?! Nein, habe ich nicht! Ich habe auch keine Fotos von verdreckten S-Bahnen getwittert und auch nicht das Buch „Senk ju vor träwelling“ gekauft.

Ich habe der Bahn ihre Fehler durchgehen lassen, besonnen auf meinem Zug gewartet und die Fahrt ertragen. Manchmal auch im Stehen, mehrere Stunden lang.

Die S-Bahn München ist im Recht, mir diese 40 Euro abzuknöpfen. Warum? Weil sie es kann. Sie hat die Regeln selbst geschrieben. Sie hat ein System gebaut, das einen konstruktiven Dialog zum Kunden unterbindet und es für Mitarbeiter unnötig macht, über den Sinn ihrer Entscheidungen nachzudenken.

Ich hole mir diese 40 Euro wieder. Ich werde das Auto nehmen, wenn es geht. Ich werde in der Innenstadt Fahrrad fahren und bei weiteren Reisen aufs Flugzeug umsteigen. Und ab sofort werde ich schimpfen. Ich streiche die Bahn von meiner realen und virtuellen Freundesliste. Ich werde mich in sämtlichen Foren und sozialen Netzwerken am regen Dialog über den Service der Deutschen Bahn und ihrer Töchter beteiligen. Warum? Weil ich es kann!

Update: am 22.April 2011 habe ich der Bahn auf den Rat einiger Freunde per E-Mail an info@sc-fahrpreisnacherhebung.de und über die Website meinen Fall geschildert. Bisher ohne Reaktion. Nun hat die Bahn ein Service-Angebot per Twitter gestartet. Ich habe dem Twitter-Team der Bahn am Starttag des Angebots geschrieben und darauf keine Reaktion gehalten. Auf einen zweiten Tweet am 21.Juni gab es zwei Antworten. Man habe nach telefonischer Rücksprache mit der S-Bahn München meine Nachricht an diese weitergeleitet.

Update 2: Das Twitter-Team der Bahn (db_bahn) hat am 18.Juli 2011 erneut getwittert, man werde sich mir mir in Verbindung setzen, diesmal kam die Nachricht als Direct Message, man bräuchte meine E-Mailadresse, da die Antwort in 140 Zeichen nicht zu formulieren sei. Ich habe der Bahn (erneut) meine Kontaktdaten gegeben. (Text der Direct Message lautete: Senden Sie uns an dbbahn.twitter@bahn.de Ihren Twitternick. Nach Erhalt der E-Mail melden wir uns, da 140 Zeichen nicht ganz ausreichen. /ch). Es fällt dem Twitter-Team der Bahn offenbar schwer im eigenen Konzern Gehör zu finden. Liest man die Tweets der Bahn, so wird regelmäßig getröstet, beschwichtigt und versprochen, die gemeldeten Störungen und Probleme weiter zu leiten. An die Wurzel des Problems scheint, das Twitter-Team der Bahn aber offenbar selbst nicht zu stoßen.

 

 

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