Das Qualitätsversprechen für digitalen Journalismus

Meinung
Für Medienmacher gibt es drei Herausforderungen: Die Erzählweisen, die Distribution und die Geschäftsmodelle haben sich grundlegend verändert. Alle diese drei Disziplinen müssen neu gelernt werden. Leider entwickeln sich einige Medienunternehmen recht isoliert in einer drei Kategorien weiter und verbinden diese zu wenig.
Ich habe mal versucht, als Checkliste zusammenzufassen, worauf es meiner Einschätzung nach mindestens ankommt.
 

Qualitätsjournalismus ist nicht an das Medium gebunden

Journalismus funktioniert auch ohne Papier, ohne TV und ohne Radio. Aus tiefster Überzeugung heraus behaupte ich, dass digitale Plattformen sogar ein höheres Potential für den Qualitätsjournalismus haben, wenn Medienmacher und Journalisten folgende Punkte beherzigen: Nutzerinnen und Nutzer müssen immer die Gewissheit haben, dass sie von uns auf allen Plattformen qualitativ hochwertigen Journalismus geboten bekommen.
“Qualität ist per Definition die Erfüllung oder Übererfüllung einer Erwartung.”
 

Umgang mit externen Plattformen

Es fällt Medienmachern schwer, ihre eigene technisch oft unterlegene Plattform zu verlassen, um beispielsweise originäre Inhalte für YouTube, Facebook, Twitter, Snapchat oder Instagram zu produzieren, die perfekt für das Nutzungsverhalten dieser Plattformen gemacht sind.
Sie haben es zudem schwer auf externen Plattformen bestehende Geschäftsmodelle unverändert weiter zu verfolgen. Auf externen Plattformen Inhalte zu teasen, um den Traffic abzuschöpfen, ist allerdings zu kurz gedacht. Es muss allen beteiligten klar werden, dass man sich aus folgenden Gründen aus der Komfortzone auf externe Plattformen bewegen muss:
 

Inhalte originär für fremde Plattformen produzieren

  • weil wir neue journalistische Formate im Digitalen lernen und testen wollen.
  • weil wir die Distribution und den Aufbau von Reichweite innerhalb und zwischen Plattformen lernen wollen. (Filterbubble-Business)
  • weil wir die Geschäftsmodelle digitaler Plattformen verstehen lernen wollen.
  • weil wir diese Erfahrungen auf eigene Plattformen adaptieren wollen.

Das Digitale nicht Anderen überlassen

Vernachlässigt man die Distribution originärer Inhalte auf externen Plattformen, überlässt man das große Publikum allen anderen, die es dort schaffen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und sich daraus weiterentwickeln. Journalisten, die das Feld der sozialen Netzwerke nur noch Marketiers, Populisten, Aktivisten und nutzergenierierten Inhalten überlassen, sind sich ihrer gesellschaftlichen Aufgabe als vierte Gewalt nicht bewusst.
 

Inhalte auf das Nutzungsverhalten auslegen

Der Inhalt muss in seiner Darstellungsform an die Plattform angepasst sein, um das beste Nutzererlebnis zu garantieren.
Es gibt digitale Angebote, die völlig ohne Bedürfnis genutzt werden. Dieses lineare Nutzungsverhalten (Push) gleicht dem Zapping im TV oder der Nutzung von Radio. Es kommt immer was, der Newsfeed nimmt kein Ende, der Stream geht weiter. In diesen Netzwerken müssen wir die Aufmerksamkeit catchen und Geschichten grundlegend anders erzählen als in digitalen Angeboten, die z.B. mit einer Suche beginnen und in denen Nutzer ein Bedürfnis hatten. Vereinfacht brauchen wir für Facebook, Instagram und Twitter sogenannte Scrollstopper, für YouTube, Blogs und Foren Inhalte, nach denen Nutzer bereits suchen.
  • Wir fokussieren das Nutzerverhalten (linear = ohne Bedürfnis oder non-linear = mit Bedürfnis)
  • Wir überlegen, wie sich die Geschichte mit den Features der Plattform bestmöglich erzählen lässt, ohne dass die Nutzerin oder der Nutzer die Plattform wechseln muss.
  • Wir erzählen die Geschichte beginnend mit dem Ende und aufbauend auf einer Struktur, die es Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht, schnell den Kern zu erfassen und Lust macht, tiefer einzusteigen.

Ein Klickbait ist kein Qualitätsjournalismus - vor allem nicht, wenn Nutzer auf der Zielseite frustriert zurückbleiben

 
Wenn wir von einer Plattform zu einer anderen teasen, muss es sich für den Nutzer lohnen
  • für den Nutzer muss das Gesamterlebnis inkl. aller Klicks positiv sein.
  • der Nutzer muss den Eindruck gewinnen, dass es sich um hochwertigen Journalismus handelt.

Nutzerinnen und Nutzer müssen sich in der Geschichte wiederfinden

Ich teile oder interagiere mit Inhalten:
  • weil die Geschichte meinen Standpunkt reflektiert
  • weil ich mich durch das Teilen oder Interagieren mit der Geschichte ausdrücken kann
  • weil ich mich oder eine mir persönlich bekannte Person in der Geschichte wiedererkenne
  • weil die Geschichte mein Bedürfnis (z.B. den Wissensdurst) befriedigt

KPI: Verweildauer im Umfeld der Menschen, die wir erreichen wollten

Was ich nicht messen kann, zählt auch nicht, heißt eine Digitalformel. Wer auf die falschen Zahlen (Fassadenmetrik) blickt, läuft Gefahr, sich die Welt schön zu rechnen. Als wichtigste Kennzahl messen deshalb wir die Verweildauer im Umfeld der Menschen, die wir erreichen wollten.
  • Wie lange braucht es, diesen Inhalt zu konsumieren?
  • Wie lange hat ein Nutzer diesen Inhalt konsumiert?