Warum wir Google Streetview nicht verbieten sollten

Herodot hat 500 Jahre vor Christus die Geschichtsschreibung begründet. Er notierte Dinge, die er in Kleinasien persönlich gesehen hatte. 2500 Jahre später diskutieren wir darüber, ob Kameras die Öffentlichkeit systematisch für die Nachwelt dokumentieren dürfen. Google Streetview und Microsoft Streetsite sind Angebote, die den öffentlichen Raum fotografieren und weltweit für jedermann durchsuchbar machen. Ein sinnvolles Angebot finden viele Deutsche Nutzer, die nach Angaben von Google etwa 1 Million mal im Monat, Streetview für Orte im Ausland nutzen. Im Inland geht es den Deutschen offebar aber zu weit. Nach einer Emnid-Umfrage der Bild am Sonntag unter 500 Personen wollen 51 Prozent kein Streetview in Deutschland. Sie sehen ihre Privatsphäre verletzt.

Ich sehe nicht, dass Googel Streetview oder Microsoft Streetsite die Privatsphäre verletzen. Die Panoramafreiheit erlaubt es in Deutschland Fotos im öffentlichen Raum von Häusern zu machen. Vor Regierungsgebäuden gibt es Schutzzonen, in denen man durch eine hohe Mauer oder einen langen Zufahrtsweg keine Möglichkeit für Fotos hat. Wollen wir diese Schutzzonen per Gesetz vor jedem Haus, fragt der Zeit-Redakteur Kai Biermann.

„Google zeigt nur den öffentlichen Raum und bildet ihn im Netz ab, mehr nicht. Sollte es zufällig doch mehr sein, kann man widersprechen und der Konzern nimmt die Bilder aus dem Angebot. Street View zu verbieten oder einzuschränken aber hieße, um jedes Haus in diesem Land eine Sondersicherheitszone zu ziehen. Wodurch der öffentliche Raum, den wir alle nutzen müssen, nutzen dürfen und nutzen wollen, kleiner würde. Ja, ich möchte mich von Staat, Nachbarn und Passanten zurückziehen können und dürfen. Gleichzeitig aber möchte ich, dass es Räume gibt, die jedem zur Verfügung stehen und die niemand einschränken kann und darf. Denn auch das ist Freiheit. Und diese Freiheit soll es bitte auch im Netz geben. Leider ist es ein Konzern, der diese anbietet und nicht, sagen wir, die Vereinten Nationen oder der deutsche Staat“ (Auszug aus dem Artikel Wie ich lernte Street View zu lieben)

Darin liegt ein Knackpunt der Kritik:  Wäre es uns lieber, es gebe ein Bundes-Streetview, bei dem der Staat die Hoheit über die Daten hat? Ich glaube, da wäre der Ruf nach mehr Privatsphäre genauso groß. Der Kern der Sache besteht darin, Gesetze zu schaffen, wie die Daten später genutzt werden dürfen.

Im Telefonbuch, das online durchsuchbar ist, steht wo wir wohnen, bei Google Maps können wir heute schon sehen, was das für eine Gegend ist, (Siehe Pro Google Streetview von Anatol Stefanowitch) die Nielsen-Gebiete sagen uns, ob das eine Gegend mit vielen Arbeitslosen, kinderreichen Familien oder wohlhabenden Alleinstehenden ist. Diese Daten gibt es bereits heute. Google Streetview dokumentiert nur eine Realität, die bereits heute jeder sehen kann. Ich stehe z.B. nicht im Telefonbuch, bei Google Maps sehe ich die Gartenmöbel auf meinem Balkon, was ein viel genauerer Blick ist, als der Blick von der Straße in den 2.Stock durch mein Fenster. Ich habe früher an einer Straße gewohnt, wo jeden Tag die Busse der Stadtrundfahrten mit fotografierenden Touristen vorbeigekommen sind. Wenn ich heute auf dem Münchner Marienplatz fotografiert werde, kann dieses Foto in einem privaten Fotoalbum erscheinen, oder ein paar Jahre lang als Postkarte an jeden Touristen verkauft werden, womit ein Fotograf und ein Postkartenverlag Geld verdient.

Google fährt aus finanziellem Eigeninteresse durch die Straßen und dokumentiert die Öffentlichkeit, genau wie das Unternehmen verrottende Bücher digitalisiert, Webseiten durchsucht oder digitale Karten anbietet. Google macht das durchsuchbar, was es bereits gibt.

Wo ist die Staatsbibliothek, die alle Bücher im Web durchsuchbar macht? Wo ist die Website der Bundesrepublik Deutschland, die mir durchsuchbare Karten und Luftbilder für ganz Deutschland anbietet und sie mit dem Handelsregister bzw. dem Telefonbuch der (privaten, ehemals staatlichen) Telekom verbindet?

Microsoft und Google bieten mit ihren Kartendiensten dies an. TomTom sammelt zusammen mit Vodafone  Stauinformationen in Echtzeit, die der Staat bzw. die Landesregierungen derzeit nicht sammeln, über Schilderbrücken o.ä. aber in ähnlicher Qualität frei herausgeben könnten.

Wir leben in einem digitalen Wandel und verlangen danach, Informationen digital zu mischen (Mashup). Dazu ist es notwendig, dass diese Informationen auch digital vorliegen. Verlage haben es bisher verpasst, ihre Archive zu digitalisieren und verhandeln jetzt mit Google, die Österreichische Staatsbibliothek hat ihr Archiv von Google digitalisieren lassen, in Los Angeles sehe ich live in einem Omnibus auf einer Microsoft Bing-Karte, an welcher Kreuzung ich gerade vorbeifahre und wo die nächste Station ist. Diese Daten werden von einem Konzern bereitgestellt, auch wenn dies die Aufgabe der L.A. Metro sein könnte.

Es geht also nicht nur darum, ob ein Unternehmen wie Google einen finanziellen Vorteil durch die Bereitstellung seiner Dienste hat, sondern auch darum, wer die Kosten für die Erschaffung dieses Dienstes getragen hat.