Workshop: Live-Reportagen im Radio

Dieser Blogpost ist eine kleine Nachlese auf das Live-Reportage-Seminar, das ich immer wieder beim Münchner Aus- und Forbildungsradio, M94,5 halte. Alternativ gibt es auch ein Seminar für Online-Videojournalismus / YouTube.
 
Über den Kurs und den Sender:
Der Aus- und Fortbildungskanal M94.5 sendet in München ein größtenteils live produziertes 24-Stunden Radioprogramm, das überwiegend in Zusammenarbeit mit Studenten der Münchner Universitäten entsteht. Mitmachen kann bei M94.5 jeder, der in einer Ausbildung steht. Egal ob Schüler, Auszubildender oder Student.
 
Die meisten M94.5-ler sind Studierende von Münchner Hochschulen und Universitäten. Sie arbeiten semesterweise in der Lehrredaktion des Aus- und Fortbildungssenders. Zunächst zwei Semester in einem der Tagesteams und in einem Ressort, dann als freie Mitarbeiter - und als Moderatoren, Sendungsverantwortliche oder in anderen Funktionen. Ich habe den Sender in den 90er Jahren als einer der ersten Mitarbeiter oder Moderatoren (später Ressortleiter der Unterhaltungsredaktion) aus der Taufe gehoben. Heute bin ich dem Sender noch immer Verbunden: In Form als Dozent für Radiojournalismus oder mit meinen Kollegen von NOEO, die das Online-Angebot des Senders gemeinsam mit der Redaktion aufgebaut haben.
 

Livereportage und Live-on-Tape-Reportage / Interaktiver Beitrag

Die Live-Reportage kann live oder auch zeitlich versetzt „Quasi-live“ gesendet werden. In diesem Fall wird die Reportage für einen Live-Eindruck vor Ort gleich direkt mit kurzen Interview O-Tönen ins Aufnahme-Gespräch gesprochen und kann später mit kleinen Schnitten noch gekürzt werden. Nur die Aufnahme von O-Tönen und die spätere Vertonung des Manuskripts im Studio reicht nicht. Der eigene Text muss im schlimmsten Fall über der echten Atmo noch einmal im Freien gesprochen werden. Die Reportage hat einen geplanten Anfang und einen geplanten Schluss. Zeitsprünge gibt es nicht – auch einen Ortswechsel gibt es nicht – außer der Reporter bewegt sich während des Berichts.

Journalistische Diszanz oder persönliche Nähe?

Sollte der Reporter ein neutraler Beobachter und Herrscher der Situation sein - Die Rolle des Reporters hängt stark von der Intention des Senders und den Themen ab. 
Ist der Reporter in das Geschehen eingebunden, kann er nicht nur beobachten, sondern die Situation auch beeinflussen und z.B. bei Programmaktionen mit den O-Ton Gebern auch interagieren. Ist der neutraler Beobachter zum Beispiel bei Demonstrationen, Veranstaltungen oder nachrichtlichen Ereignissen, muss er seine eigene Personality einen Gang zurück drehen.
 
Der Reporter darf allerdings auch betroffen sein! Das kann ein Grund sein, warum er als Reporter im Studio steht, um zu beschreiben was er miterlebt hat. (zufällig sein am Unglücksort, eigene Verletzungen). Im Gegensatz zum gebauten Beitrag oder Feature konzentriert sich die Sendezeit dann voll auf die Erlebnisse des Reporters. Das neutrale Berichten von einem Live-Ereignis mit eigener Meinung überschreitet aber die Grenze der eigenen Betroffenheit. In diesem Fall wird die Reportage zur Meinungsbildung missbraucht. Besonders schlimm wird das bei Live-Reportagen von politischen Veranstaltungen oder Kundgebungen von Interessensverbänden. 

Vorbereitung: Was sind meine Konstanten und Variablen in der Live-Reportage:

Der Reporter muss bevor er live on Air geht möglichst viele Informationen gesammelt (und evtl. auch kurz notiert haben), um sicher vom Geschehen berichten zu können. Er kann mit dieser Hintergrund-Informationen zeitliche Lücken im Geschen füllen, in denen nichts berichtswertes passiert (z.B. Demo: warten auf den Redner). Der Reporter muss sicher im Thema sein, ohne bereits nach wenigen Sekunden ohne einen Gesprächspartner (Experten) ins straucheln zu kommen. Der Experte ist in dem meisten Fällen kein Radiomensch und hat es nicht gelernt seine Antwort jetzt ins Sendetauglichen 20 Sekunden zu formulieren. O-Töne können in der „Quasi-Live“-Reportage aufgenommen werden und später - gegebenenfalls bearbeitet - als Live-Statement gesendet werden.

Wie vermittle ich die größtmögliche Nähe zum Geschehen?

Der Reporter ist der Kameramann des Hörfunks: Er fährt näher ran, geht auf Distanz und bestimmt des Blickwinkel. Er erzählt wo er steht und wie er steht (zusammengepfercht in eine kleine Ecke, geduckt unter der beklemmenden Decke der Kanalisation. Der Reporter beschreibt, was er vor Ort sieht (bzw. gesehen hat). Er beschreibt Kleidung, Gesichtausdrücke, Körpersprache, Farben (Bunt macht bunt! sonnenblumengelb, kaminrot, blutrot), Formen, Positionen, Gerüche (feuchter Flieder), Geschmäcke (süß) Starke Verben und viele Adjektive lassen die Reportage leben. Statt konkreten Zahlen verwendet man am besten Größenangaben mit Bezugspunkten für Hörer z.B. knöcheltief, so schwer wie drei Kekse. 

Die freie Rede

Frei-Sprechen ohne Manuskript geht am besten, wenn man sich seinen Gedankengang in Sinnschritte einteilt, die man wie einen Raum mit vier Ecken der Reihe nach abläuft. Ein paar Tipps, wie das geht findet ihr in meiner Übung "Spiegelei mit Spinat", die ich immer wieder mal auf Barcamps als Session anbiete

Das beste Equipment für eine Live-Reportage

Der Übertragungswagen:
Die meisten großen TV- und Radiostationen haben ein Sat-Mobil oder einen Ü-Wagen (Übertragungswagen). Hier ein paar Beispiele: Ü-Wagen des WDR, TV-Unit Ü-Wagen, SMART Ü-Wagen. Es geht aber auch mit deutlich weniger Aufwand und einem Budget, dass sich auch freie Journalisten leisten können. 
 
Das Handy im Live-Reportageeinsatz (Mobile Reporting)
Das Mobiltelefon eignet sich nur als Reportagegerät, wenn der Reporter allein auf Sendung gehen soll, Geräusche oder O-Töne keine Rolle spielen und keine Gesprächspartner in die Reportage eingebaut werden müssen. Sollten zwei Personen OnAir gehen müssen, sollten Reporter eine Telefonkonferenz über das Sendestudio aufbauen. Der Moderator im Studio hat dann die letztendliche Entscheidungsgewalt darüber, wer auf Sendung geht. Auch für das Handy als Live-Reportagegerät gilt: niemals das Mikro aus der Hand geben! 
Eine gute Sammlung von Hardware und Apps hat Richard Gutjahr mit seiner "Blogger-Tasche" geschaffen
 
Das Aufnahmegerät: 
Für die Quasi-Live-Reportage (Live on Tape) eignen sich nur Aufnahmegeräte, mit denen das Material ohne Zeitverlust in den Sender überspielt werden kann. Zu empfehlen sind digitale Aufnahmegeräte, die im Format MP3 aufnehmen, so dass das Material gleich über ein Notebook per FTP-Upload oder E-Mail den Weg ins Sendestudio findet. Ich verwende als Audio-Aufnahmegerät den Sony Hi-MD WALKMAN MZ-RH1 oder ein Smartphone mit iMic.
 
Das Notebook: 
Auch das Notebook eignet sich hervorragend als Live-Reportagegerät. Hat der Reporter sogar noch ein Funk-Mikro oder ein langes Verlängerungskabel für das Mikro, ist er während des Berichtens sogar noch einigermaßen mobil. Ich empfehle für den kleinen Geldbeutel als Mikrophon das Sennheiser E840S und als radiotaugliche USB-Soundkarte für Mac und PC die iMic von Griffin Technology. Für mich Ideal ist auch der XLR-USB Adapter Shure X2u am Notebook.
 
Live-Reportagen per LTE:
Die kostengünstige Überspielmöglichkeit für Live On Tape-Reportagen und interaktive Beiträge ist sicherlich über einen Hotspot in einem Cafe. An vielen öffentlichen Plätzen gibt es z.B. einen McDonalds mit einem T-Mobile Hotspot. Alternativ bietet sich auch eine LTE-Notebookkarte für den schnellen Upload der MP3-Files oder des Live-Audiosignals ins Internet an. 
 
Livestreaming ins Studio:
Der YouTube / Google Hangout On Air oder Dienste wie Skype oder Livestream.com sind praktikable Online-Angebote für Radiojournalisten. Diese Anbieter ermöglichen das kostenlose livestreaming von Kameras ins Internet. Radioreporter brauchen freilich nur das Tonsignal. Der Moderator kann dies aber im Studio leicht über den Webbrowser abgreifen. So können auch Sender mit kleinstem Budget live-Reportagen senden, ohne mehr als ein Notebook mit Internetverbindung zu brauchen. 

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