Der Journalismus ist im Eimer

Ermüdende Debatte um den Zukunftsjournalismus

Ich bekomme schlechte Laune bei der Debatte um die Zukunft des Journalismus. Mehr und mehr komme ich zu dem Ergebnis, dass die Kollegen in den Redaktionen nicht mehr zu retten sind. Es werden leider noch sehr viele liebe und schlaue Menschen dort ihre Jobs verlieren. Schuld sind daran unter anderem solche Einschätzungen wie getroffen von Wolf Schneider im Spiegel. Don't feed the trolls. Ich tue es dennoch:

Richard Gutjahr hat Recht, wenn er bemängelt, dass sich die Debatte der Digitalisierung noch viel zu wenig um die Inhalte dreht und viele Zeitungsmacher den Qualitätsjournalismus noch immer an das Papier binden. Dabei sind wir doch über diese Phase schon längst hinaus, zumindest dachte ich das.

Ich glaube, Verlage stehen vor zwei Herausforderungen: Journalismus ist kein Geschäftsmodell mehr und guter digitaler Journalismus erfordert heute völlig andere Fähigkeiten.

Journalismus ist kein Geschäftsmodell mehr. Full Stop.

Alles, womit man Journalismus in den analogen Jahren gegenfinanziert hat, ist heute eine eigene Online-Plattform, Immobilienbörsen, Stellenbörsen. Ich kann verstehen, wenn ein Verlag eine Lokalzeitung und TV-Zeitschrift loswerden will, um sich mit dem Geld eine Börse für KFZ und Immobilien zu kaufen. Der Verlag kauft sich sein einstiges Kerngeschäft zurück. Als wenn Nachrichten sich je über Anzeigen und Abos finanziert hätten. Bullshit.

Auch die zweite Einnahmequelle, die Werbung, ist im Analogen ineffizient und wird im Online-Bereich von Google und Facebook perfektioniert, nicht aber von Verlagsvermarktern. Aus Unfähigkeit wurde Neid. Aus Neid ein Gesetz. Siehe dazu auch meine Einschätzung zu Facebook Anzeigen in Bezug auf das Leistungsschutzrecht.

Die dritte Einnahmequelle Abo basiert wie Richard Gutjahr bereits sehr schön schon geschrieben hat, auf gedruckten Paketen und der Katze im Sack, die online ebenso nicht gefragt ist. Die Paywall ist das Verschwinden hinter dem Vorhang der Unsichtbarkeit. Ich beneide die Suchmaschinenenoptimierer der Verlage nicht, die Inhalte der Paywall für Google optimieren müssen.

Gestern Abend hat mir mein Vater gesagt, er würde sich jetzt gerne ein iPad kaufen, und warum denn nicht seine Lieblingszeitung wieder guten Journalismus machen könne, die er dann auf dem iPad lesen könne. Wir haben dann die Papierzeitung aufgeschlagen und die Seiten gezählt, die für ihn interessant waren. Die Seite 3 ist dabei immer seine Lieblingsseite. Zeitungsmacher wissen, warum es die dritte Seite ist. Der Grund ist ein technischer, es ist die erste Seite nach dem Aufschlagen der Zeitung. Doch wo ist im Digitalen die dritte Seite? Analoge Arbeitsweisen und Redaktionsstrukturen lassen sich nicht in das Digitale übertragen.

Die Arbeitsweisen einer Redaktion lassen sich nicht auf das Digitale übertragen.

Digitaler Journalismus erfordert andere Fähigkeiten: Die Kollegen, die heute in den Redaktionen arbeiten, werden entweder nicht entsprechend weitergebildet oder wollen dies selbst nicht. Die Meldung an sich ist heute nichts mehr wert. Journalisten müssen Informationen aus unterschiedlichsten Quellen aufnehmen, aufbereiten, einschätzen, kuratieren, bewerten, verifizieren und das Ergebnis über viele Kanäle hinweg verbreiten. Es ist auch nicht mehr notwendig, jeden Tag eine bestimmte Anzahl an Seiten vollzuschreiben, damit eine durch vier teilbare Zahl entsteht. Diese Workflows sind heute aber noch in den Köpfen. Stattdessen haben wir heute viel stärkere Individualisierungen. Facebook macht uns das mit dem Newsfeed vor.

Es wäre also schlauer, wie bei Karl Kratz so schön beschrieben, tolle Recherche-Ergebnisse aus unterschiedlichsten Perspektiven für unterschiedliche Menschen mit je anderen Bedürfnissen zu beleuchten.

Statt fünf verschiedene Artikel zu schrieben, schreiben Journalisten dann eben nur einen Artikel aber in fünf Perspektiven, bereiten die Informationen langfristiger und interaktiver aus. So kann z.B: Lokaljournalismus über den Kita-Mangel in Berlin ein Datenjournalismus-Projekt werden, das Eltern in Echtzeit zeigt, was für sie relevant ist, aus der Perspektive junger Familien, alleinerziehender Väter, etwas älterer Akademiker oder junger Schulabgänger. Diese befinden sich in einem völlig unterschiedlichen Lebensstadium. Bisher haben Verlage diese Menschen in Zielgruppen unterteilt und mit verschiedenen Verlagstiteln bedient, für die es jeweils eigene Redaktionen gab. Das ist nicht mehr notwendig.

Gesellschaftliche Verantworten von Verlagen, anyone?

Die traurige Wahrheit ist also, es werden noch sehr viele Journalisten ihren Job verlieren, es wird viele neue Publikationen geben, die reichweitenstark Inhalte verbreiten, die womöglich mit Journalismus nichts zu tun haben, und Verlage müssen sich die Frage stellen, ob sie an einem gesellschaftlich relevanten Qualitätsjournalismus festhalten wollen, den sie über andere Verlagsbereiche im Digitalen (Stellenbörsen etc) querfinanzieren, selbst wenn die einzelne Betrachtung der beiden Geschäftsbereiche Redaktion und E-Commerce völlig irrenentabel erscheint.

tl:dr

Der Journalismus ist im Eimer. Schuld sind womöglich auch Verlage. Der Pluralismus und die Verbreitung von Inhalten überlebt - im Digitalen sogar noch viel leichter. Was mit den Verlagen passiert, weiss ich nicht.

Liebe Kollegen im Journalismus, digitalisiert Euch oder verlasst die sinkenden Schiffe, bevor ihr über Bord geht. Mir macht die Debatte schlechte Laune.